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Jan Schomburg: Das Licht und die Geräusche

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Das Licht und die Geräusche erzählt von Johanna, die viel Zeit mit Boris verbringt, der eigentlich mit der Austauschschülerin Ana-Clara aus Portugal zusammen ist. Die erste Episode widmet sich der Klassenfahrt nach Barcelonaäü. Die Ich-Erzählerin Johanna berichtet, wie ein Schüler einen Klassenkameraden wie einen Knecht hält und wie sie sich mit diesen Schüler auseinandersetzt und versucht, sein Verhalten zu verstehen. Johanna ist eine Ich-Erzählerin, die twentysomethings, die ihre eigene Abschlussfahrt und Schulzeit noch vor Augen haben, zur Identifikation einlädt. Sie berichtet auch von Spleens ihrer Familie: Die Mutter räumt auf, bevor Natalja aus der Ukraine zum Putzen kommt und trinkt mit ihr Tee und hilft ihr dann, weil sie nicht erträgt, dass jemand anders die Arbeit macht. (S. 19)

Die Szenen im Klassenzimmer und auf der Klassenfahrt erinnern an die eigene Schulzeit. „Das tollste an der Schule ist doch, dass man sich mit Menschen auseinandersetzen muss, mit denen man sonst niemals was zu tun hätte.“ (S. 61) ist die Standardaussage von Johannas Mutter, Johanna will aber jetzt leben und sich keine Gedanken darum machen, wofür man die Erfahrung später brauchen kann.

Die Erzählung beginnt unvermittelt mit der Beschreibung eines ausgehenden Partyabends einer Gruppe Teenager. Die ersten Seiten lesen sich ungewohnt, der Schreibstil wirkt ein wenig ungelenk, eben wie ein Teenagertagebuch: „Am letzten Abend lagen wir zusammen im Zelt, und plötzlich haben sich zufällig unsere Hände berührt, und wir haben angefangen, uns zu streicheln. Vielleicht habe ich nicht gezittert, aber ich hatte das Gefühl, ich würde zittern, und dachte, dass das irgendwie peinlich ist, wenn Boris merkt, dass ich zittere und ich habe mich ganz darauf konzentriert, nicht zu zittern. Ich glaube, das hat funktioniert, aber ganz sicher bin ich mir natürlich auch nicht“ (S. 15) Johanna erkennt „dass man vielleicht auch nicht immer alles verstehen muss“ (S.29) Im weiteren Verlauf ändert sich das jedoch. Die Erzählerin gewinnt immer mehr Sicherheit und wird erwachsener, obwohl oder gerade weil die Situation, in der die Figuren stecken, immer chaotischer und undurchsichtiger wird.

Nach einem weiteren Discoabend und einer turbulenten Nacht am See ist Boris plötzlich verschwunden und Johanna macht sich zusammen mit Boris‘ Eltern und Ana-Clara auf den Weg, um ihn in Island zu suchen. Nach Boris‘ Verschwinden und auf der Reise wird Johanna vieles klarer und der Erzählstil wandelt sich stark. Das macht einen Reiz von Das Licht und die Geräusche aus, denn spätestens hier hat die Protagonistin das Herz des Lesers erobert. Die Passagen, die auf Island spielen, ähneln einem rasanten Roadmovie und ist von einigen Zufällen geprägt. Vom Ende ist nicht spoilerfrei zu berichten. Ich kann es jeder Leserin ans Herz legen, die einen kleinen Trip in die eigene Vergangenheit, die Schulzeit und die Zeit der ersten großen Liebe unternehmen will. Weiterhin interessiert mich, wie und ob Männer das Buch lesen.

Beim Lesen der ersten Kapitel befürchtete ich, dass ich mich plötzlich in die Young-Adult-Ecke verloren habe und war schon nah dran, das Buch erstmal für ein paar Wochen aus der Hand zu legen. Die Veränderung, die Johanna durchmacht und die sich auch im Schreibstil widerspiegelt, macht das Buch zu einem absoluten Herzensbuch.

Deshalb freue ich mich sehr darauf, Jan Schomburg auf der Leipziger Buchmesse zu interviewen.

Schomburg, Jan: Das Licht und die Geräusche. München: dtv Verlag 2017. 255 Seiten, Hardcover. 20,00€

Herzlichen Dank an die Presseabteilung des dtv Verlages für das Leseexemplar.


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